Wie wandeln sich Feminismen im Laufe der Zeit? Welche (unterschiedlichen) Schwerpunkte setzen die Generationen im Kampf für Gleichberechtigung und welche Strategien haben sich bewährt? Diesen Fragen stellten sich die Sorority und der Österreichische Frauenrat im Rahmen des Generationentalks „Frauen.Strategien“ im Wiener Bruno-Kreisky-Forum. Das NPO – Frauennetzwerk war am 19. Oktober 2022 beim Talk zu Besuch.
Die Speakerinnen sind Vertreterinnen zweier Generationen: Elfriede Fritz (ÖFR), Ministerialrätin i.R. und langjährige Vorsitzende (inter)ministerieller Arbeitsgruppen für Gleichbehandlung (IMAG und BMF), die sich als „für gendergerechte Sprache und gegen Sexismus in der Werbung“ vorstellt sowie Sibel Ada, Vorständin bei Sorority und Hirnforscherin, die Dimensionen von Intersektionalität aufzeigt und zur Hinterfragung unserer „eigenen Bubble“ anregt. Zwischen den Positionen vermittelt und moderiert Andrea Brunner (ÖFR), Leiterin der Aidshilfe Wien.
Es ist eine Reise in die Vergangenheit, geprägt von zahlreichen Erfolgen trotz fortlaufender Widerstände: Elfriede Fritz erzählt vom Kampf um grundlegender Frauenrechte in den vergangenen Jahrzehnten. Sie spricht über für die jüngere Generation nahezu Unvorstellbares: Zeiten, in denen Frauen die Erlaubnis ihres Mannes brauchten, um arbeiten gehen zu können und sexuelle Belästigung als „Kavaliersdelikt“ abgetan wurde. Dann die schrittweise Emanzipation, darunter etwa das Recht auf Arbeit, die Straffreiheit für Abtreibung, die Etablierung des Gender-Mainstreaming sowie die Implementierung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien. Im Sprachgebrauch wurde die weibliche Form akademischer Titel eingeführt – entgegen wiederkehrendem Widerstand und Vorwürfen wie „Unlesbarkeit und Sprachzerstörung“. Weitere Meilensteine bildeten die Einführung diverser Frauenquoten, etwa in Aufsichtsräten.
Mögen manche Errungenschaften auch in heutigen Zeiten als selbstverständlich erscheinen, so sind die Ungleichheiten längst nicht beseitigt und Errungenes nicht irreversibel gefestigt: Sibel Ada betont, dass etwa Abtreibung in Österreich immer noch nicht legal, sondern lediglich straffrei sei. Ein Blick in die USA genüge, um zu sehen, dass erkämpfte Rechte nicht dauerhaft gefestigt sind. Zwar stehe die jüngere Generation im Allgmeinen heute nicht mehr so massiven Problemen gegenüber wie die ältere, wohl aber nach wie vor subtileren Formen der Benachteiligung.
So sei etwa der Begriff der Intersektionalität von Bedeutung – dieser bedeute mehrfache Diskriminierung entlang von Geschlechter-, Religions- und ethnischen Identitäten. Zentrale Problematik sei dabei auch die eigene Hinterfragung – denn insbesondere die „eigene Bubble“ führe zu so genannten „Blind Spots“. Ada spricht auch über ihr jüngeres Ich – so stünden Personen mit Migrationshintergrund häufig keine Auseinandersetzung mit gewissen Begriffen zur Verfügung. Genauso spiele auch die demographische Dimension eine Rolle, am Land sehe man vieles anders. Das Ausbrechen aus der eigenen „Bubble“ und die Interaktion mit anderen seien daher zentral zur Erkennung und Beseitigung bestehender Ungleichheiten.
Im Austausch zwischen den beiden Speakerinnen und anschließend weiterer Diskussionsteilnehmerinnen aus dem Publikum werden rasch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen klar: Der „frühere“ Feminismus sei „radikaler“ als der heutige. Diskriminierung sei früher auch sichtbarer gewesen – entgegen der heute landläufigen Meinung, dass diese heute „eh nicht mehr da“ sei. Der Kampf habe sich „damals“ dem traditionellen Geschlechterverständnis gewidmet und habe etwa die LGBTQIA-Community sowie intersektionale Aspekte außen vor gelassen. Dies regt zu heftiger Diskussion an: Während ältere Diskussionsteilnehmerinnen die Meinung vertreten, diese Aspekte „decken das Frauenthema zu“, sind verschiedene Geschlechteridentitäten für die jüngeren eine Selbstverständlichkeit. Schließlich gehe es hierbei um einen gemeinsames Ziel: Die Bekämpfung patriarchaler Strukturen und die Einheit diverser Gruppen auf dem Weg dorthin.
Worin hingegen generationsübergreifendes Einvernehmen herrscht, ist die Besorgnis über einen rückläufigen Trend in Sachen Gleichberechtigung: Der Gender Pay Gap bestehe nach wie vor, gerade im sozialen Bereich arbeiten vermehrt Frauen zu niedrigen Löhnen, Femizide verdeutlichen eine bestehende Gewaltproblematik. Viele Frauen opferten sich wieder für Familie auf und steckten dafür ihre beruflichen Ambitionen zurück, die Zentralität der weiblichen Mutterrolle kehre zurück. Insbesondere aktuelle Entwicklungen wie die Covid-Pandemie hätten dies gefördert. Dabei sei die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen etwas, wofür lange gekämpft wurde, genauso gegen Credos wie etwa „Kinder brauchen bis zu einem Alter von 10 Jahren die Mutter, deshalb soll diese Teilzeit arbeiten“. Künftige Kompromisse seien daher etwa eine Arbeitszeitverkürzung für beide Geschlechter bzw. Vollzeitstellen im Umfang von 30 Wochenstunden oder alternative gesellschafts- und wirtschaftspolitische Modelle etwa nach isländischem Vorbild mit flexiblen Arbeitstagen für beide Elternteile.
Somit finden die Generationen abschließend einen gemeinsamen Nenner in der Überzeugung, für die gemeinsame Sache weiterhin einzutreten und auf Errungenem unserer Vorkämpferinnen aufzubauen. Denn man habe eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit gezogen: Die Institutionalisierung von Frauenrechten sei wichtig und erfolgreich, aber gleichzeitig sei ein gesetzlicher Wandel ohne seinem gesellschaftlichen Pendant nicht umsetzbar. Dies zu vollenden, sollte unser aller Ziel sein.
Von Cristina Molinari
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